Big Data, Datenschutz und Datensicherheit: Herausforderungen in einer globalen Welt. Fünf Fragen an Dr. Viktor Mayer-Schönberger

Dr. Viktor Mayer-Schönberger, Experte für Big Data und Professor für Internet Governance an der Universität Oxford, beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Datennutzung. Längst hat die Datenflut auch die Intralogistikbranche erreicht und stellt sie vor große Herausforderungen. In seinem Vortrag bei der MHLC erklärt er deshalb, was sich überhaupt dahinter verbirgt, wie man diese Flut bewältigen kann und wie es um die Sicherheit der Daten steht. Bei SIMPLEXITY gibt er vorab schon mal einen Einblick in die vielfältige Datenwelt.

Für viele Menschen ist „Big Data“ ein Buzzword. Was verbirgt sich genau hinter dem Begriff? 

Bei Big Data geht es weniger um die neusten Technologien oder technologische Werkzeuge als um die Möglichkeit, die Welt mit Hilfe von Daten besser zu verstehen und dadurch bessere Entscheidungen zu treffen. Wenn Sie sich zum Beispiel eine intralogistische Wertkette ansehen, dann hängt diese von vielen verschiedenen Entscheidungen ab: Mit welchen Partnern arbeite ich zusammen? Wie baue ich meine Logistik auf? Wie kann ich Prozesse optimieren? Mit Hilfe von neuen, digitalen Techniken und Werkzeugen können wir Daten sammeln und sehr einfach und kostengünstig auswerten. Aus diesen Daten gewinnen wir wiederum Einsichten, die wir bisher nicht hatten. Hier geht es nicht nur darum, Fragen zu beantworten, sondern vielmehr auch darum, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn wir die Wirtschaft in Europa also in diese Richtung bestärken wollen, dann bedeutet das vor allem ein anderes Denken. 

Auf dem Weg zu dieser neuen Denkweise spielen die Themen Datenschutz und Datensicherheit eine große Rolle. Was genau steckt dahinter? 

Beim Datenschutz geht es um den Schutz von individuellen Rechten an personenbezogenen Daten. Es ist schon lange bekannt, dass viele persönliche Daten in der Hand von wenigen großen Organisationen eine Machtverschiebung bedeuten. Und mit dem Datenschutz wird seit jeher versucht diese Macht einzudämmen. In Zeiten von digitalen Superstars wie Google, Facebook oder Amazon ist das immer wichtiger geworden, weil immer mehr personenbezogene Daten gesammelt werden. Aber dazu kommt nun das Problem der allgemeinen Datensicherheit. Hier geht es darum, dass die Daten, auch nicht personenbezogene Daten, die man zum Beispiel für eine Big Data Analyse verwendet, nicht ge- oder verfälscht werden.

Wie wirkt sich dieses Szenario konkret auf die Intralogistik aus? 

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein automatisiertes Lager. Dort haben Sie viele Sensoren eingebaut, um ihre automatisierte Lagerverwaltung zu optimieren. Und dann stellen Sie fest, dass die Daten verändert wurden sind – oder an Dritte weitergegeben wurden. Unternehmen müssen verstehen, dass es nicht nur um die Datenschutzgrundverordnung und personenbezogene Daten geht. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass die Daten, die gesammelt werden und wertvoll sind, auch der Realität entsprechen und nicht in falsche Hände geraten.

Sehen Sie in der heutigen globalisierten und vernetzten Welt eine Chance, gewisse Regeln für alle zu verabschieden? 

Ich glaube, wir sind hier am Beginn der Debatte. Das sehen Sie zum Beispiel deutlich in Bezug auf 5G. Die Frage lautet: Gibt man einem bestimmten Infrastrukturanbieter beim Aufbau von 5G eine zentrale Rolle und erlaubt dabei möglicherweise Institutionen und Unternehmen aus einem einzigen Land einen Zugang durch die Hintertüre zu diesen Daten? Die Alternative ist freilich auch nicht ideal:  einer heterogenen Infrastruktur kann die Robustheit fehlen und teurer sein. Zwischen diesen beiden Polen den richtigen Mittelweg zu finden, ist eine schwierige Entscheidung. Hier könnte es sich etwa anbieten, manche Lösungen außerhalb Europas einzukaufen und diese dann mit europäischen Elementen, z.B. bei Verschlüsselungstools, zu vervollständigen. Das ist eine wichtige Diskussion, aber sie ist noch lange nicht zu Ende.

Wenn es um personenbezogene Daten geht, fällt häufig das von Ihnen geprägte „Recht auf Vergessen“. Worum handelt es sich hier und wie sollten Unternehmen damit umgehen? 

Das „Recht auf Vergessen“ ist die Möglichkeit, bestimmte personenbezogene Daten über einen selbst aus Datenbeständen anderer zu löschen. Vergessen ist entscheidend für Innovation, für Veränderung und für den Blick in die Zukunft. Wer nicht vergessen kann, der verstellt sich den Blick in die Zukunft – gerade auch in der Wirtschaft. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel durchgehend Verbrennungsmotoren hergestellt hat, dann tut es sich schwer, plötzlich auf Elektromotoren umzustellen. Das ist wiederum der Vorteil von Start-ups, die sich von Grund auf neu mit alternativen Konzepten beschäftigen. Und deshalb müssen sich viele etablierte Unternehmen immer wieder von ihrem bisherigen Mindset verabschieden. Gerade in einer Zeit des Umbruchs wie heute brauchen wir viele unterschiedliche Ideen. Diese Diversität können große Monopolisten allein nicht leisten. Wir brauchen kleine Start-ups und mittelständische Unternehmen, um den digitalen Wandel zu gestalten. Dieser Wandel muss insbesondere von den Menschen in den Unternehmen getragen werden. Das heißt nicht, dass man die Welt neu erfinden muss. Vielmehr geht es darum, in kleinen, aber regelmäßigen Schritten Akzente in die richtige Richtung zu setzen. Und damit können wir schon heute beginnen.


Infobox:

Die Material Handling & Logistics Conference Europe 2020 findet am 8. und 9. März in Stuttgart statt. Sie richtet sich an Entscheidungsträger im Bereich Intralogistik und alle interessierten Besucher. Neben einigen namhaften Hauptrednern halten mehr als 20 Fachleute Vorträge über ihre neuesten Erkenntnisse in insgesamt vier Wissensbereichen: „Big Data“, „Operations“, „Labor and Leadership“ und „Next Generation Supply Chain“.

Hinweis: Die Veranstaltung wurde aufgrund des Coronavirus (SARS-CoV-2) verschoben und findet an einem Nachholtermin im Laufe der nächsten sechs Monate statt. (Stand 03/2020).